"Der Geist geistloser Zustände" - Religionskritik & Gesellschaftstheorie. Tagung am 7./8. Mai 2010 in Hannover
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Tagung
Programm
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"Der Geist geistloser Zustände"
Religionskritik und Gesellschaftstheorie

Tagung am 7./8. Mai 2o1o in Hannover

Die Kernaussagen der verschiedenen Religionen erweisen sich als unhaltbar, sobald sie rational thematisiert werden. Die Religion wird daher schon früh Gegenstand nicht der Kritik, sondern des Spotts: Bereits im sechsten vorchristlichen Jahrhundert machte sich Xenophanes über den anthropomorphen Charakter der tradierten Götter lustig. Zwar haben die großen Religionen zum einen eine Vergeistigung ihrer Prinzipien hervorgebracht und zum anderen eine starke politische Wirksamkeit entfaltet. Aufgrund der mit Verbreitung von moderner Ökonomie, Bildung und Wissenschaften verbundenen gesellschaftlichen Entwicklung in den letzten Jahrhunderten ist jedoch das religiöse Bewusstsein in Europa nicht nur theoretisch, sondern auch faktisch-gesellschaftlich schweren Erschütterungen ausgesetzt gewesen. Dennoch bleibt Religion als gesellschaftliches Phänomen aktuell, denn sie speist sich nicht primär aus rationalen Überzeugungen, sondern aus Empfindungen und Bedürfnissen. Religion vor diesem Hintergrund zu thematisieren bleibt von unvermindertem Interesse.
Das Phänomen Religion vor dem Hintergrund einer auf Marx fußenden Gesellschaftstheorie zu diskutieren, kann bedeuten, Religion als historisches Phänomen sozial zu erklären. Hier kann gefragt werden, warum religiöse Lehren in bestimmten Epochen – etwa im Sinne der Opium-These – für bestimmte soziale Gruppen attraktiv waren. Außerdem können die Väter oder Vorfahren der kritischen Gesellschaftstheorie wie Hegel, Feuerbach und selbstverständlich Marx selbst in Hinblick auf ihr Religionsverständnis behandelt werden. Schließlich kann man sich von Marx aus denjenigen religiösen Phänomenen zuwenden, die in unserer Gegenwart sich erneut zur Geltung bringen.
Religion wird heute in verschiedener Hinsicht diskutiert und spielt in verschiedenen Bereichen politisch-gesellschaftlich eine Rolle. Genannt sei der islamische Fundamentalismus, der nicht nur in der Form des gewalttätigen Terrorismus zweifellos ein Phänomen von großer Bedeutung ist. Seit dem Regierungsantritt George W. Bushs ist auch der von den USA ausgehende christliche Fundamentalismus stärker ins Blickfeld gerückt. Und auch in Deutschland trifft Religion mitunter auf verstärktes Interesse. So hat Jürgen Habermas in seinen späten Jahren eine große Offenheit gegenüber der Religion und den Kirchen entwickelt. In der Religionssoziologie wird die lange akzeptierte These von der fortschreitenden Säkularisierung der Gesellschaften, vom Zusammenhang von Modernisierung und Säkularisierung, massiv bezweifelt. Immer häufiger wird die Frage gestellt, inwieweit es Kindern zuzumuten sei, im Biologie-Unterricht die Evolutionstheorie zu lernen, oder ob es sich dabei nicht nur um eine mögliche Interpretation der Natur neben der religiösen Schöpfungslehre handele.
Gleichzeitig lenken Kampagnen eines neuen politischen Atheismus die Aufmerksamkeit auf sich. In Großbritannien kristallisiert sich dieser entschiedene Atheismus um den Evolutionsbiologen Richard Dawkins, in Deutschland ist die Giordano-Bruno-Stiftung in einer ähnlichen Weise aktiv. Bemerkenswert ist, dass dieser Atheismus häufig durchaus linksgerichtete politische Ansprüche hat. An die Prinzipien der Gesellschaft will er freilich nicht rühren. Dawkins begründet seine Religionskritik rein biologisch. Von den gesellschaftlichen Funktionen der Religion weiß er nicht viel.
Die Konferenz stellt sich dagegen die Aufgabe, aus der Sicht kritischer Gesellschaftstheorie in wechselseitiger Ergänzung systematische und historische Perspektiven auf die gesellschaftliche und politische Funktion und Entwicklung von Religion zu eröffnen. Dabei sollen gesellschaftstheoretische und kritische Aspekte im Vordergrund stehen, die in den meist empirischen oder pragmatischen Diskussionen ausgeblendet bleiben.

Tagungsband
Berger, Maxi / Reichardt, Tobias / Städtler, Michael (Hrsg.):
Der Geist geistloser Zustände - Religionskritik und Gesellschaftstheorie.
Münster 2012, 222 Seiten, € 24,90


Veranstalter:
Gesellschaftswissenschaftliches Institut Hannover (GI),
Marxistische Abendschule Hamburg (MASCH-Hamburg) und
Rosa-Luxemburg-Stiftung Niedersachsen e.V.


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